Tag 134: Sehr besorgt

Fr 25/08/17 9,2 Meilen (14,7 km) Trailcamp (2342,2) bis Interstate 15/Butte (2351,4) 250m rauf, 510m runter

Ich traue mich kaum aufzustehen, ich fürchte mich vor der Reaktion meines Fußes. Die ersten paar Schritte sind Ok, doch schon setzt der bekannte Schmerz ein. Ein leichter, unbestimmter Schmerz links oben auf dem Fuß, ein breiter, ziehender Schmerz unter der Fusswölbung beim Abrollen und ein stechender, bis zum Knöchel hochgehender Schmerz beim seitlichen Knickendes Fußes. Ich mache mir nun ernsthaft Sorgen. Doch es hilft nichts, ich muss erstmal die 10 Meilen nach Butte. Dort mache ich bis mindestens Sonntag Pause und hoffe, das es besser wird. IBU Profen rein, Rucksack rauf und los. 
Die ersten 30 Minuten humpele ich und schleppe mich nur langsam vorwärts. Es geht bergauf und wenn auch nicht weit, erscheint es mir fast unüberwindbar. Ich versuche mich mit Podcasts abzulenken und konzentriere mich auf jeden einzelnen Schritt. Für den Trail und die Natur habe ich heute keinerlei Interesse und nehme kaum etwas wahr außer dem Gefühl in meinem Fuß. Der Schmerz wird schwächer und ich laufe langsam etwas runder. Es geht nun fast nur noch flach oder bergab und weiterhin die meiste Zeit auf Dirtroads. Selten war ich darüber so glücklich. Ab Meile 5 habe ich Empfang und Texte mit Apache. Er tippt auf Plantar fasciites und da ich beim abtasten keinen Schmerz habe, liegt er vielleicht sogar richtig. Demnach ist es eine schmerzhafte Entzündung der Bänder. Durch Weiterlaufen riskiert man nichts, es wird dann aber auch nicht besser. Da hilft nur ruhig stellen. Das völlige Abklingen kann bis zu 2 Monate dauern. Ich werde in Butte nach Einlegesohlen mit einem höheren Support meiner Fusswölbung und Stützsocken für mein Fußgelenk suchen. Außerdem brauche ich etwas anderes als IBU Profen, die man nicht zu lange nehmen sollte. Am Besten etwas das Schmerzen lindert und Entzündungshemmend wirkt. 

Ich schaffe es schließlich bis um 10 zum Highway. 1,5 Stunden versuche ich verzweifelt eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Alle 15-20 Minuten kommt ein Auto vorbei, doch keines hält. Schließlich gebe ich auf und rufe den Taxi Service in Butte an. Es sind überraschend nur 25$ und so schlage ich zu. Der Fahrer ist ein bulliger, tätowierter Ex-Cop, der inzwischen in Rente ist aber Teilzeit für das Unternehmen eines guten Freundes fährt. Er liebt es zu wandern und neuen Menschen zu begegnen. Für ihn ist dieser Job eher Freizeitvergnügen als Arbeit. Ich habe mit einrelativ teures Zimmer im Quality Inn genommen. Dafür soll es ein Frühstücksbuffet, einen Pool und einen Wäscheraum geben. Ich kann gerade etwas Luxus vertragen und gut gelegen ist es auch. Die billigen Motels haben keinen Wäscheraum und das bedeutet viel Zeit fast nackt in einer Wäscherei zu verbringen, anstelle beim Wäsche waschen entspannt auf dem Motelbett zu liegen. Eigentlich war der Plan, das mich The Honch bzw Ashley (er bevorzugt anscheinend eher seinen echten Namen) abholt und wir Zeit in seiner Stadt Missoula verbringen. Mit meinem kaputten Fuß möchte ich aber mehr Ruhe haben und brauche jetzt ein Motelzimmer und nicht erst heute Abend. Ich texte ihm auch, das ich nur etwas eingeschränkt etwas unternehmen kann. 
Die Ernüchterung kommt nach dem Einchecken, mein Guidebook (Yogis Book) hat sich mit dem Wäscheraum geirrt. Den gibt es dafür im Motel gegenüber, das deutlich günstiger ist, als Yogi angegeben hat. Ihr Buch für den PCT war extrem hilfreich und aktuell, die Ausgabe für den CDT ist extrem fehlerhaft und veraltet. Außerdem weigert sie sich standhaft, ihre Bücher digital zu veröffentlichen. Fast jeder hätte die Informationen lieber auf seinem Telefon, als das ganze Buch mit sich rum zu schleppen. Schon länger ärgere ich mich darüber und denke beim wandern über eine App nach, die durch die Wanderer selber aktuell gehalten und erweitert wird. Vielleicht sollte ich das wirklich angehen. Erstmal buche ich aber eine zweite Nacht gegenüber, muss das Wäsche waschen halt warten. 
Kurze Zeit später meldet sich Asher. Er hat früher Schluss und könnte schon in zwei Stunden da sein. Ich will heute eigentlich nur zum Outfitter und mein Paket bei der Post abholen. Den Rest kann ich auch morgen erledigen. Also gerne doch. Während er unterwegs ist, gehe ich zum Outfitter und erlebe die nächste Enttäuschung. Dort gibt es weder Aqua Mira zum Wasser filtern, noch die gewünschte Einlegesohle. Zumindest nicht in meiner Größe. Beides ist wirklich dringend und kurz überlege ich, einen komplett neuen Wasserfilter zu kaufen, doch verwerfe das auch gleich wieder. Der Teufel Amazon ist mal wieder mein Retter. Tatsächlich kann ich beides Online bestellen und für $8 zusätzlich per Express bestellen. Schon Morgen wird es in mein Motel geliefert. Danach bleibt mir noch Zeit für ein Essensgelage in einer Burgerkette, bevor Asher schließlich da ist. 
Er erzählt mir erstmal seine Lebensgeschichte, zumindest die letzten 12 Monate. Das geht von vier Jahren bei der Navy über 2 Monate auf dem CDT – wo ich ihn als Trail Angel traf und ihm half – über eine verstorbene Großmutter, die den Trail für ihn beendete und den Umzug von Pennsylvania zu seinem kleinen Bruder nach Missoula, wo erbos heute für eine Baufirma gearbeitet, nun aber genau zu heute gekündigt hat und in einer Woche beginnt deutsch zu studieren. Ein ganz schön buntes Jahr und seine Zukunftspläne sind es nicht weniger. Vermutlich werde ich ihn in nicht allzu langer Zeit in Deutschland wieder sehen. 
Das Postamt is relativ weit weg von meinem Motel und es ist mir mit meinem Fuß eine echte Hilfe, das wir mit seinem Audi dorthin fahren können. Erstaunlicherweise fühlt sich dieser gerade relativ gut an. An den Ibus kann es kaum liegen, die letzten habe ich vor über 7 Stunden genommen. Auf dem Rückweg kaufen wir ein paar Bier. Schon bald brechen wir aber wieder auf, denn ich bin schon wieder hungrig. Mein Taxifahrer hat mir von einem All you can eat Buffet in einem Pizza Restaurant erzählt. Neben Pizza gibt es auch frittiertes Hühnchen und vor allem ein Salatbuffet. Genau das richtige für mich. Ich wäre schon mittags hin, wollte aber den recht langen Weg mit meinem Fuß nicht laufen. Audi macht es möglich.  
Es ist zwar etwas merkwürdig jemanden zu treffen, den ich eigentlich nicht kenne, doch der Tag macht Spass. Ashley sieht ein wenig aus wie James Franco, ist wirklich interessiert an der Welt und an allem neuen. Nicht nur durch die Navy ist er für einen Amerikaner recht weit rumgekommen. Er ist unglaublich weltoffen und interessiert, aber passt doch in keines unserer europäischen Schema. In den Gesprächen zeigt sich eine sehr liberale Einstellung gepaart mit aus unserer Sicht extrem konservativen Werten. Auf jeden Fall ist es spannend und kurzweilig sich mit ihm zu unterhalten. Ich erzähle ihm, das mir jeder andere Hiker abgeraten hat, mich mit ihm zu treffen. Auf seinem Facebook Foto sieht er nämlich nicht wie James Franco aus, sondern wie eine drogenabhängige, besoffene Dumpfbacke. In einer seiner SMS, während wir unser Treffen plante, schrieb er mir, ich müsse flexibel sein. Die anderen Hiker waren sich sicher: treffe ich ihn, bin ich so gut wie tot. 
Ich gebe aber allen Menschen gerne eine Chance und ich hätte ihn ja auch schon einmal kurz getroffen. Die Auflösung ist recht schlicht. Facebook nutzt er so gut wie garnicht, das Foto aus der Navy Zeit und zum SMS schreiben nutzt er kein Smartphone, sondern ein altes Klapphandy. Er meinte, ich bräuchte Flexibilität, da ich Thruhike. Nicht ich, sondern er müsse und würde daher auch flexibel sein. Wie er die Einschätzung der anderen Hiker wirklich findet, sagt er nicht, aber ich glaube, es hat ihn eher amüsiert als geärgert. 
Ashley hat für Morgen einen Vorschlag. Am Abend gibt es in einer kleinen Stadt nahe Butte ein Rodeo. Er könnte am späten Nachmittag wieder kommen, wir essen etwas und fahren dann dort hin. Er könnte bei mir im Hotel übernachten und mich am nächsten Tag zum Trail bringen. Ich finde die Idee großartig, weiss nur noch nicht, was mein Fuß dazusagt. Bisher war dieser Morgens am schlimmsten. Wir beschließen morgen früh nochmal zu telefonieren und dann fährt er nach Hause. Ein ereignisreicher Tag geht mit gemischten Gefühlen zu Ende. Meine Flugbuchung werde ich auf die nächste Stadt verschieben müssen, bis dahin geht es meinem Fuß hoffentlich wieder gut. Ich freue mich auf das Rodeo, fürchte mich aber vor dem nächsten Morgen. Wir werden sehen.

3 Gedanken zu “Tag 134: Sehr besorgt

  1. Lieber Hannes,
    son Mist, dass der Fuß jetzt schwächelt. Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass Du den Trail so beenden kannst, wie Du es Dir gewünscht hast. Gute Besserung und best wishes von Gudrun

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