Tag 151: East Glacier

So 10/09/17 0 Meilen (0 km) East Glacier (2654,8)

Ein Anruf bei der Ranger Station und der Wetterbericht. Mehr brauche ich nicht, um mich zu entscheiden. Es wird kalt. Sehr kalt. Im Moment sind es noch 25 Grad, doch in vier Tagen sind 0 Grad tagsüber und -6 für Nachts angesagt. Dazu Regen und/oder Schnee am vierten Tag. Winter is coming. Die Ranger Station macht mir keinerlei Hoffnung, das sie in den nächsten Tagen wieder Permits erteilen. Erst Ende der Woche, sollte es richtig regnen, werden sie vielleicht wieder Permits erteilen. So lange kann ich nicht warten. Ich werde heute noch Pause machen, auch weil ich noch ein paar Dinge erledigen muss. Aber morgen geht es los. Wie auch immer. Ich warte nicht länger und riskiere neue Feuer und Sperrungen. Der Plan ist schnell gemacht, denn es gibt nur einen einzigen Weg zur Grenze. 
Der östliche, noch offene CDT verläuft durch zwei kleine Orte im Park. Two Medicine nach 11 Meilen und Many Glacier 55 Meilen später. Danach sind es noch 30 Meilen zur Grenze bzw. 20 mit einer Abkürzung. An beiden Orten kann ich weiterhin auf Hiker/Biker Campsites übernachten. Die 55 Meilen dazwischen sind allerdings etwas lang, vor allem weil es über drei massive Bergpässe geht. Es gibt aber noch St. Marys. Nach 40 Meilen trifft der CDT auf eine Straße, von der ich nach St. Mary hitchen könnte. Oder ich nehme schon 12 Meilen vorher einen 5 Meilen langen Trail direkt nach St. Marys. Das fügt weitere 10 Meilen zu meiner Strecke hinzu, dafür muss ich aber nicht Hitchhiken und habe einen etwas kürzeren Tag. Statt 40 und 15 Meilen wären es 33 und 32 Meilen. Das klingt besser und ist vor allem machbar.
Aber was mache ich mir den 3 verbleibenden Tagen bis zu meiner Abfahrt am 18? Ich kann mir nicht vorstellen, diese komplett in East Glacier zu verbringen. Hier ist einfach nichts, ich gebe nur Geld aus. Ich muss wohl in den sauren Apfel beissen und neue Tickets buchen. Amtrak überrascht mich, die US Bahngesellschaft erstattet mir mein Ticket komplett als Gutschein ohne Gebühr den ich für eine neue Fahrt buchen kann. Die Preise sind kaum teurer, als vor drei Wochen. Statt 43$ nun 54$ nach East Glacier. Hallo Deutsche Bahn? Dafür hatte eine Zug gestern aber auch 6 Stunden Verspätung… ein Problem ist das Flugticket nach San Francisco. Bekam ich das letzte noch für 100$ müsste ich nun so kurzfristig fast 300$ zahlen. Das war der Grund, warum ich so früh gebucht habe. Nach langer Recherche macht nur eines Sinn, ich buche ein Zugticket direkt nach San Francisco. Das sind 39 Stunden in zwei Zügen für vergleichsweise günstige 192$, von denen ich ja nur den Aufpreis von 149 zahlen muss. Dadurch komme ich auch nicht allzu früh in San Francisco an, wo ich meine Freunde um zwei weitere Übernachtungen in ihren Wohnungen bitten muss. 
Als alles gebucht und entschieden ist, bin ich erleichtert. Nun darf es nur keine neuen Feuer geben. Die bestehenden dürften mich höchstens mit Rauch belästigen, seit gestern ist die Sicht aber erstaunlich gut. Die starken Winde haben den Rauch komplett weggeblasen. Der heutige Tag ist sowieso richtig schön. Den ganzen Tag kommen neue, bekannte Thruhiker an, die ihren Hike bereits abgeschlossen haben. Ich treffe Jpeg mit seinem Vater, Queen B, Endless, Mac, Appa, Moist, German Mormon, Lux, Kibbles and Bits, Main Mike und gegen Mittag kommt auch Tyke in die Stadt. Er hat die kompletten 200 Meilen Roadwalk hinter sich gebracht und so einiges gesehen. Bewaffnete Nationalgarde, die evakuierte Gegend vor Plünderern und sturen Bewohnern absicherten, Feuer eine viertel Meile neben der Straße, er hat mit evakuierten Bewohnern auf Wiesen gecampt, die seit Tagen ohne genaue Informationen ausharren, mit Polizisten diskutiert, die zwar Autos durchließen, aber ihn als Wanderer stoppen wollten. Erst als er ihnen glaubhaft machte, dass er bis zu 40 Meilen pro Tag läuft, ließen sie ihn durch. 
Nun muss ich ihm schonend beibringen, dass ich schon morgen weiterlaufen will, wenn auch nur 10 Meilen. Ich weiß, wie Gerber es mit mir weiterlaufen will und wie gerne er einen Pausentag hätte. Aber er versteht mich, wie lange ich schon hier bin, das schlechte Wetter, das im kommen ist, mögliche neue Feuer, die selbst den letzten möglichen Weg zur Grenze sperren könnten. Er braucht einen Moment, um das alles sacken zu lassen, doch dann ist er mit an Bord. Wir werden gemeinsam morgen Nachmittag starten. Im Moment ist auf dieser Strecke keinerlei Gefahr durch Feuer und durch die Winde sogar gute Luft und Sicht. Zu zweit sinkt auch die Bärengefahr und erst Recht dadurch, dass wir nur noch in Städten campen werden. QuickSilver erzählt indes Geschichten von seiner Wanderung von Benchmark to East Glacier. Der Trail war bereits geschlossen, dies aber nicht richtig ausgeschildert. Weniger als 1 km entfernt vom Trail sagen sie Bäume wie Streichhölzer Abfackeln. Wusch, wusch, wusch… Flip Flop hatte gerade erst Gras geraucht und sagte nur „Cool!“, Quicksilver wusste es besser und sagte „We have to get the fuck out of here!“ Im Vergleich zu all diesen Geschichten, hatte ich ein paar echt entspannte Tage.
Die Pläne sind geschmiedet, ich schreibe mein Blog, informiere Fancypants und Bucket in San Francisco über meine neuen Pläne und sortiere Dinge aus, die ich in den letzten vier Tagen nicht mehr brauche. Mein linker Fuß tut leider wieder etwas weh. Die letzten drei Tage habe ich die Stützsocke nicht mehr verwendet. Vielleicht war das ein Fehler. Ich kann auch eine deutliche Schwellung am Fuß erkennen. Gut, das meine Mutter schon mal einen Termin beim Arzt für mich gemacht hat, so kann ich das gleich nach meiner Rückkehr untersuchen lassen. Und auch wenn meine Mutter und sicherlich einige andere sich nun an den Kopf fassen werden, ich werde den Trail dennoch zu Ende laufen. Was immer in meinem Fuß ist, es ist dort schon seit 300 Meilen und würde zwischendurch nicht schlimmer sondern sogar kurzfristig besser. Es wird auch die letzten 96 Meilen aushalten müssen. 
Der Ausklang des Tages ist wunderschön. Nach und nach finden sich alle Hiker in der Stadt vor dem kleinen General Store ein. Ich habe eine Verstellbare Krone nach East Glacier bestellt, um alle Tripple Crowner (Hiker, die AT, PCT und CDT erfolgreich abgeschlossen haben) angemessen zu krönen und zu huldigen. Dies habe ich schon den ganzen Tag gemacht und setzte es hier weiter fort. Insbesondere Roswell und Jpeg sehen mit ihren Haaren und Bart richtig majestätisch aus. Wir sitzen auf Bänken und auf dem Boden der Holzterasse, trinken Bier und Essen Pizza. 12 Thruhiker und bis auf German Mormon kenne ich alle schon länger und mag auch viele von ihnen sehr gerne. Wir reden über die letzten vier Tage zur Grenze und über Zukunftspläne, hauptsächlich weitere Hikes. Ich habe das sichere Gefühl, das dies mein letzter Thruhike ist. Zumindest der letzte, der länger als einen Monat dauert. Nicht weil ich es nicht mehr mag, im Gegenteil. Ich mag es viel zu sehr. Aber es hält mich auch von anderen Dingen ab, die mir genauso wichtig sind. Es hindert mich an einem richtigen Leben zu Hause. Der PCT und nun der CDT sind zwei der wichtigsten Erlebnisse in meinem Leben und haben mir auf so vielen Ebenen ungemein geholfen. Aber nun habe ich alles erhalten, was ich brauche. Mein Gefühl sagt mir, dass ein weiterer Thruhike mir nicht mehr weiterhelfen würde. Ein weiterer Thruhike, wäre einfach nur ein paar weitere, grandiose Monate in meinem Leben. Ich will aber versuchen, dies in einem richtigen, kontinuierlichen Leben zuhause zu erreichen. 

King Roswell

King Quicksilver

King Lux

King Jpeg

Appa, King Jpeg, sein Vater, German Mormon und Queen B


Gegen 22 Uhr gehe ich in mein Zimmer. Ich habe mir für die letzte Nacht ein eigenes, mit einem richtigen Bett gegönnt. Es war ein schöner, letzter Abend vor meinen Dayhikes zur Grenze. Ich hoffe, dass ich nach meiner Rückkehr von der Grenze etwas ähnlich schönes, mit anderen Hikerfreunden erlebe. Aber ein wenig war das auch heute schon der Abschluss von meinem Thruhike. Die letzten vier Tage bin ich fast schon ein einfacher Tourist, der ein paar Tageswanderungen unternimmt. Aber im Ende ist das auch, wie ich meinen ganzen Thruhike betrachtet habe. Nie das ganze, immer nur zur nächsten Stadt und oft nur von Tag zu Tag. Eine kleine Wanderung nach der anderen, von Mexico nach Kanada.

7 Gedanken zu “Tag 151: East Glacier

  1. Lieber Hannes, unglaublich, dass du so weit gekommen bist, trotz aller Widrigkeiten zwischendurch. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen einen guten Abschluss in den nächsten Tagen. Danke, dass ich durch deinen BLOG an dieser Durchquerung Amerikas und den vielen Eindrücken teilhaben konnte.
    Meine besten Wünsche und liebe Grüße von Gudrun

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  2. Lieber Hannes, alles alles Gute fuer den letzten Abschnitt! Laecherlich die schlappen 96 Meilen!
    Ein Gedanke, den wir hoffentlich bei einem Glas Wein in Berlin schon bald vertiefen/diskutieren/erweitern koennen: ich bin mir ganz sicher, dass du den AT in Angriff nehmen wirst! Genau aus diesem Grund: „Ein weiterer Thruhike, wäre einfach nur ein paar weitere, grandiose Monate in meinem Leben. Ich will aber versuchen, dies in einem richtigen, kontinuierlichen Leben zuhause zu erreichen.“
    Das was du tust ist ebenso DEIN richtiges, kontinuierliches Leben. Leg dir nicht Zwaenge auf, es anders zu sehen, deinen Blick zur genormten Definition des „richtigen Leben“ zu richten.
    Ich fuer meinen Teil werde einiges dafuer tun, dein Feuer nicht so leicht abfackeln zu lassen 😉
    Fuehl dich gedrueckt!

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  3. Mich schließe mich Beate an: was ist denn das richtige Leben wenn nicht das, was man gerade lebt. Du erlebst gerade tolle Momente mit tollen Menschen – das darf ruhig weiterhin so bleiben. Das Umfeld ändert sich vielleicht aber sonst hoffentlich wenig.
    Schön, dass du deinen Hike als kleine Wanderungen von Tag zu Tag beschreibst. Das macht doch Mut für alle ‚Wanderungen‘ im Leben.
    Ich wünsche dir, dass du die letzten 96 Meilen gut durchkommst, sie genießen kannst und dann ebenfalls gebührend gefeiert wirst für deinen Abschluss des CDT.
    Vielleicht kommt der AT dann doch noch. Nicht,,weil du ih brauchst, sondern einfach, weil wandern Spaß macht.
    Ich freu mich auf Dich! 😘💚👍

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